Der Leser liest mit
Fachartikel von Beratern erinnern mich oftmals an die ersten Sätze aus Peter Handkes Publikumsbeschimpfung: »Sie werden kein Schauspiel sehen. Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden.« Der feine Unterschied: Die Berater wollen eigentlich Interesse wecken. Warum gelingt ihnen das so selten?
Zugegeben: Beraterthemen sind ziemlich dröge im Vergleich zu bunten Consumer-Themen – und auch die Lesergruppe ist vergleichsweise desinteressiert. Leider glauben viele Berater: »Was mich interessiert, muss auch meine Leser interessieren.« Pustekuchen! Aus solchen Annahmen heraus entstehen technokratische Beiträge, zum Beispiel über die „Implementierung von Performance-Management-Frameworks“. Gähn! Die Gefahr, dass Ihre Leserschaft in dieser Themenwüste verdurstet, ist extrem hoch.
Perspektivwechsel
Das bedeutete aber nicht, dass Sie die Leser nicht erreichen können. Aus Vermarktungssicht liegt in der Konstellation „dröges Thema, gelangweilte Leserschaft“ eine wunderbare Gelegenheit, sich durch gute Inhalte von der blaugrauen Konformität abzuheben. Denn selbst aus potenziell langweiligen Themen können Sie großartige Geschichten destillieren, wenn Sie aufmerksam und neugierig durch das Leben gehen und andere Perspektiven zulassen.
Dabei müssen Sie das Rad nicht neu erfinden. Und wenn Sie nun mal Berater für Performance Management sind, müssen Sie sich auch nicht umorientieren, nur weil Ihr Geschäftsfeld eine so geringe Medientauglichkeit aufweist. Doch warum wechseln Sie nicht einfach den Blickwinkel – und starten von der Richtung, aus der Ihre Leserschaft kommt?
Raus aus der Beraterblase
Leser fragen nicht, was Sie sich mit Ihrem Beitrag gedacht haben; sie fragen sich, was der Text ihnen vermitteln soll. Und sobald sie keine Antwort mehr darauf finden, brechen sie die Lektüre ab. Gute Texte überraschen – oder rücken ein Thema dank einer unerwarteten Fragestellung in ein neues Licht. Gute Texte können provozieren oder die Lesenden durch unmittelbare, subjektive Betroffenheit an das Thema binden. Gute Texte kombinieren diametrale Themen und setzen sie in eine interessante Beziehung zueinander. Und: Leser können sich in guten Texten wiederfinden.
Ich verlange nicht von Ihnen, dass Sie all diese Punkte in einen Text einfließen lassen. Aber geben sich bei der nächsten Themenwahl bitte etwas Mühe und quälen Sie Ihre Leser nicht mit einem wiedergekauten Einheitsbrei aus Ihrer Beraterblase. Sie sind nicht Peter Handke. Beschimpfen Sie Ihr Publikum nicht mit langweiligen Texten. Entwickeln Sie Themen, die Ihre Zielgruppe nicht schon 100-mal gelesen hat. Denken Sie über den Inhalt nach, über den Titel und über die Darstellungsform Ihres Textes. Entwickeln Sie eine Dramaturgie. Aktivieren Sie Widersprüche, weichen Sie von der chronologischen Reihenfolge ab. Erzählen Sie Geschichten, dann erzielen Ihre Texte auch die gewünschte Wirkung. Der Leser liest mit. Sorgen Sie dafür, dass er auch zu Ende liest!